27. März 2018

Beständigkeit versus Flexibilität – Flächennutzer im Zwiespalt

27. März 2018

Deutsche Unternehmen waren lange Zeit sehr treue Mieter. Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung und der mit ihr einhergehenden tiefgreifenden Flexibilisierung der Unternehmens(um)welt (Stichwort: Industrie 4.0) entsteht der Verdacht, dass sich dies ändern wird – zu recht?

 

Über Jahrzehnte sorgten mittel- bis langfristige Mietverträge für Sicherheit – auf Seiten der Mieter und Vermieter gleichermaßen. Das traditionelle Bedürfnis der Unternehmen nach Planungssicherheit kollidiert jedoch zunehmend mit den durch die Digitalisierung veränderten Rahmenbedingungen. Produkt(ions)zyklen werden kürzer, die Planung von Mitarbeiter- und Flächenbedarf wird schwieriger, ja ganze Geschäftsmodelle werden infrage gestellt. Kurzum: Vor allem langfristige Prognosen gleichen einem Blick in die Glaskugel. Die Unsicherheit der Marktteilnehmer nimmt zu. Der Wunsch nach Beständigkeit wird vom Erfordernis der Flexibilität verdrängt.

 

Zwar sind die einzelnen Wirtschaftssektoren in unterschiedlichem Maße von den Auswirkungen der Digitalisierung betroffen, fest steht jedoch, dass das Gros der Marktteilnehmer immer schneller auf diese Veränderungen reagieren muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die von ihnen genutzten Flächen als Schauplätze dieses permanenten Wandels müssen mitziehen und in immer kürzeren Zyklen neuen mieterseitigen Anforderungen gerecht werden. Dadurch verändern sich zwangsläufig auch die vertraglichen Parameter. Flexiblere, kürzere Mietverträge scheinen auf den ersten Blick die logische Konsequenz. In einigen Branchen ist dieser Trend durchaus zu beobachten – und doch stehen dieser Annahme einige Aspekte entgegen. Mehr noch: Entscheidende Faktoren zwingen Flächennutzer geradezu in dauerhafte Mietverhältnisse. Dazu gehören langfristige Unternehmensziele wie die strategische Ausrichtung, der Wunsch nach Standort- und Objektsicherung oder auch die Mitarbeitergewinnung und -bindung. Regionale und sektorale Rahmenbedingungen, beispielsweise Flächenknappheit in Verbindung mit der vor allem in Top-Wirtschaftsregionen vorherrschenden hohen Verhandlungsmacht der Vermieter, können ebenfalls lange Laufzeiten zur Folge haben.

 

Hier liegt der entscheidende Zielkonflikt für die Flächennutzer, denn gleichzeitig wird die Flexibilität im Zeitalter von Industrie 4.0 für Unternehmen immer mehr zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Sie muss folglich auf anderen Wegen als nur dem der Mietvertragsdauer abgebildet werden. Den Anbietern von Flächen – Investoren, Asset Managern oder Projektentwicklern – kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Momentan basieren ihre Geschäftsmodelle auf langfristig kontrahiertem Cashflow. Dies wiederum verhindert häufig die mieterseitig gewünschte Flexibilität. Sie müssen auf die neuen Gegebenheiten und das Phänomen der mieterseitigen Interessenverschiebung hin zu anpassungsfähigeren Flächen reagieren, beispielsweise durch Flächenreversibilität oder die vertraglich fixierte Möglichkeit, Flächen zu vergrößern oder zu verkleinern. Im Umkehrschluss müssen sie die daraus entstehenden Risiken wie potenziell häufigere Nachvermietungen aufgrund sinkender Stabilität eindämmen und gleichzeitig neue Potenziale nutzen. Dazu gehört unter anderem, mögliche Mietzinssteigerungen besser zu nutzen. Dreh- und Angelpunkt all dessen bleiben die Flächen. Welche Anforderungen müssen sie erfüllen und worauf muss sich das Mietermanagement zukünftig einstellen?

 

Neue Produktionsbedingungen erfordern hybride Nutzungskonzepte
Die Folgen der Industrie 4.0 durchdringen die meisten Branchen sowie deren Unternehmen und erfordern zunehmend individuelle Lösungen: Der rasante Fortschritt der IT-Technologien sorgt für völlig neuartige Produktions- und Handelsbedingungen. Die Supply Chain wird kleinteiliger und komplexer. Gleichzeitig führen integrierte Wertschöpfungsprozesse zur Verschmelzung mehrerer Nutzungsarten. Maschinen und Produkte sind immer stärker miteinander vernetzt, Menschen verschwinden zunehmend aus der Produktionskette, übernehmen die Steuerung sowie Kontrolle der Prozesse und loten Optimierungspotenziale aus. Während diese Entwicklungen bereits vielfach zu beobachten sind, sehen sich Unternehmen mit zahlreichen unbekannten Größen konfrontiert. Noch ist unklar, wie genau eine völlig automatisierte, menschenfreie Prozesskette aussieht, oder in welchem Tempo die digitale Revolution eine zukünftige Änderung von Unternehmensstrategien erfordert.

 

Unternehmensstandorte und Flächenkonzepte müssen also völlig neu bewertet werden. Das gilt nicht nur für verschiedene Nutzergruppen wie produzierendes Gewerbe, Dienstleister oder Logistiker. Selbst für einzelne Akteure innerhalb derselben Branche individualisieren sich Standort- und Flächenbedürfnisse zunehmend. Das zeigen auch die Interviews und Praxisbeispiele, die im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit „Unternehmensimmobilien im Zeitalter der vierten industriellen Revolution“ gemacht wurden: Die Anforderungen von Mietern mit ähnlichen Geschäftsmodellen unterscheiden sich teilweise deutlich voneinander. Kurz gesagt: Die Heterogenität der Flächennutzer steigt.

 

Multi-Use-Ansatz als Schlüssel für Standorttreue 
Die steigende Heterogenität der Mieter und der schneller werdende Wandel ihrer Bedürfnisse sorgen dafür, dass ein effizienter Multi-Use-Ansatz der Schlüssel zu einer langfristigen Standorttreue ist. Einerseits müssen sich Flächen exakt an die Bedürfnisse der Mieter anpassen lassen, reversibel sein und die Voraussetzungen für eine effiziente Nutzung als Lager-, Produktions- und Büroareale erfüllen. Die Leitformel lautet „form follows function“. Andererseits müssen Unternehmen die Chance haben, organisch am Standort zu wachsen oder auf Wunsch Flächen abzustoßen. Ist ein solch hohes Maß an Flexibilität gegeben, erhält der Mieter Zukunftssicherheit, was erfahrungsgemäß für eine hohe Standorttreue sorgt. Schließlich kann er in den kommenden Jahren Änderungen der Produktionsschritte oder des Geschäftsmodells räumlich abbilden. Auf diese Weise schließt sich der Kreis für Mieter und Vermieter. Indem er ihm Flexibilität einräumt, schafft der Vermieter für beide Seiten Beständigkeit.

 

Das Konzept revitalisierter Unternehmensimmobilien mit einem branchenübergreifenden Mietermix eignet sich ideal für die Umsetzung dieser flexiblen und reversiblen Flächenkonzepte. Zudem ermöglicht eine branchenübergreifende Clusterbildung mehrerer Mieter auf einem Areal wichtige Kooperationen und bildet die Basis für einen interdisziplinären Wissenstransfer.

 

Intensiver Dialog auf Augenhöhe bildet das Fundament
Für ein erfolgreiches Mietermanagement ist aus all diesen Gründen nicht nur Flächen-, sondern auch gedankliche Flexibilität unersetzlich. Daher muss der Asset Manager die Geschäftsfelder seiner Mieter sowie die anstehenden Veränderungen kennen und verstehen. Der digitale Wandel macht den persönlichen Kontakt mit dem Mieter somit essenziell.

 

Die komplexer werdenden Bedürfnisse durch Industrie 4.0 sollten demnach nicht kritisch gesehen, sondern als Chance erkannt werden, sich von anderen potenziellen Vermietern positiv abzuheben: Nicht der Immobilienmarkt und Investoren, sondern der Nutzer und seine Anforderungen stehen im Mittelpunkt eines erfolgreichen Mietermanagements. Das gilt umso mehr in Zeiten der Digitalisierung.

 

Mit freundlicher Empfehlung
Patrick Ibler,
Projektleiter bei der BEOS AG am Standort München

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