Der langfristige Mietvertrag – ein Auslaufmodell?
Deutsche Unternehmen wissen Stabilität zu schätzen. Deshalb zogen sie als Vermieter und als Mieter bei ihren Verträgen bislang mittel- und langfristige Vereinbarungen vor. Doch im Spiel um die Laufzeiten werden die Karten nun neu gemischt. Grund dafür ist ein Thema, das in der Immobilienwirtschaft – anders als in anderen Branchen – bis dato nur wenig Beachtung findet. Es geht um die Bilanzierung.
Neue Standards bei der Bilanzierung rücken Mietverträge in den Fokus
Das International Accounting Standards Board (IASB), das die Standards für die internationale Rechnungslegung setzt, hat am 13. Januar 2016 mit IFRS 16 eine neue Vorschrift für die Bilanzierung von Leasing- und Mietverhältnissen veröffentlicht. Danach müssen spätestens ab dem Jahr 2019 Unternehmen, die nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) bilanzieren, alle Immobilien-Mietverträge offen legen und bilanzieren. Ziel ist eine verbesserte und transparentere Sicht auf die tatsächlichen Investitionen sowie Anlagen eines Unternehmens.
Vereinfacht dargestellt bewirkt diese sogenannte Bilanzverlängerung zunächst auf der Aktivseite eine Erhöhung der Sachanlagen respektive Nutzungsrechte, während auf der Passivseite die Verbindlichkeiten um den gleichen Betrag steigen. Somit wird nicht nur die Bilanzsumme erhöht, sondern auch das Verhältnis der Verbindlichkeiten zum Eigenkapital maßgeblich beeinflusst. Die Folge: Da die Gesamtlänge des Mietvertrags bilanziert werden muss, steht ein Unternehmen bilanziell umso schlechter da, je langfristiger es seine Verträge abgeschlossen hat. Die neue Regelung geht daher vor allem auf Kosten großer Unternehmen, die einen erhöhten Flächenbedarf haben und den Vorteil der langfristigen Planung sowie der damit verbundenen verbesserten Konditionen zu schätzen wussten. So warnte beispielsweise die Telekom AG – exemplarisch für flächenintensive Unternehmen – erst kürzlich ihre Aktionäre vor den Auswirkungen der neuen Bestimmungen auf die Bilanzsumme und bedeutende Kennzahlen.
In der Immobilienwirtschaft wird bis heute deutlich zu wenig über mögliche Auswirkungen der IFRS-Neuregelung für die Vermietungsmärkte diskutiert. Optimisten könnten der Meinung sein, dass sich nichts ändern wird, da doch alle Unternehmen gleichförmig betroffen sind und sich die Bilanzkennzahlen nur einmalig kurz adjustieren. Uns erscheinen jedoch die nachfolgenden Verhaltensanpassungen von Unternehmen realistisch, insbesondere bei Unternehmen mit vergleichsweise hohem Flächenbedarf.
Kurze Mietverträge als logische Konsequenz?
Bisher waren viele Unternehmen froh über die Stabilität, die ihnen langfristige Mietverträge bieten. Die neuen Regeln könnten sie nun zwingen, ausgerechnet diese Stabilität zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Bilanz und Kennzahlen zu opfern und die vermeintlichen Vor- und Nachteile kurzfristiger Mietverträge neu zu bewerten: In einem dynamischen Markt müssen Unternehmen flexibel agieren können, auch, was ihren Flächenbedarf angeht. Nicht alles ist vorhersehbar, und so ist es immer fraglich, ob der aktuelle Bedarf in fünf, sieben oder gar zehn Jahren derselbe sein wird wie heute. Mit kurzfristigen Verträgen können projektbezogen zusätzliche Flächen angemietet und nach Beendigung des Projekts wieder abgestoßen werden. Wird das Unternehmen umstrukturiert und lagert vielleicht ganze Abteilungen aus, kann die Fläche ebenfalls rasch entsprechend schrumpfen. Flexibilität wirkt also auf den ersten Blick attraktiv – birgt allerdings auch Risiken in der Expansion, wenn nicht unmittelbar neue Erweiterungsflächen zur Verfügung stehen. Zudem ist angesichts der kürzeren Verträge eine Risikoprämie, die sich als Kompensation in Form von höheren Mietkosten zeigt, unausweichlich.
Tiefgreifende Veränderungen sind zu erwarten
Für die Immobilienwirtschaft wären die potenziellen direkten und indirekten Folgen von kürzeren Mietverträgen gravierend. In erster Linie trifft es die zahlreichen Geschäftsmodelle, die auf langfristige und kontrahierte Cash Flows setzen. Dies umfasst Projektentwickler, deren Finanzierung durch die Verträge sichergestellt wird, ebenso wie finanzierende (Hypotheken-)Banken. Aber nicht nur einzelne Marktakteure, sondern der gesamte Immobilienmarkt wäre betroffen: Durch die kurzen WALTs auf Objekt- und Portfolioebene könnten die Verkehrswerte signifikant sinken und eine weitaus höhere Volatilität verzeichnen. Die logische Konsequenz wäre ein Markt mit häufigeren und tieferen Zyklen. Die Wertbeständigkeit und das Rendite-Risiko-Profil der Anlageklasse Immobilie müssten hinterfragt und neu definiert werden.
Auch der Mechanismus der Inflationssicherung durch indexierte Mietverträge scheint in Gefahr. Das Thema Indexierung spielt bei Kurzläufern eine nur untergeordnete Rolle. Hier muss es also zu Ersatzmaßnahmen kommen, um auch weiterhin steigende Kosten in den Mieten widerzuspiegeln. Eine denkbare Alternative wäre der vermehrte Einsatz von Verträgen mit gestaffelten Mietpreisen.
In eine ganz andere Richtung würde die Schlussfolgerung gehen, dass IFRS 16 zu einer Erhöhung der Eigentumsquote der deutschen Unternehmen führen könnte. Nachdem jahrelang ein Rückgang der im Vergleich zu anderen industrialisierten Ländern sehr hohen Eigentumsquote in Deutschland zu verzeichnen war, würde diese zunächst trivial anmutende bilanzielle Änderung eine Kehrtwende in der Professionalisierung der Immobilienbranche bewirken.
WALT ade? Ein Blick in die Zukunft.
Zusammenfassend könnte die WALT mittelfristig ihre besondere Bedeutung als (Finanzierungs-) Kriterium verlieren. Stattdessen wird die Mieterstruktur stärker in den Vordergrund rücken. Single-Tenant-Objekte werden deutlich unattraktiver. Flexible Flächen sowie eine breite Diversifikation der Mieter streuen das Risiko und sorgen für eine dauerhafte Auslastung der Immobilien. Um diese Diversifikation voranzutreiben, wird auch die Mischnutzung verstärkt in den Fokus treten. Dies erfordert wiederum ein aktives Management der Objekte seitens der Bestandshalter und könnte zu einem weiteren Umdenken in der Branche führen.
Deutscher Mittelstand als attraktiver Mieter
Auch angesichts dieser neuen Herausforderung macht der deutsche Mittelstand, der nur selten nach IFRS bilanziert, eine gute Figur und stärkt seine Position als attraktiver Mieter. Viele Mittelstandsfirmen können genau das bieten, denn sie sind oft an bestimmte Standorte gebunden und fest verwurzelt. Wer beispielsweise gerade erst einen Großteil seines Gesamtkapitals in teure Anlagen investiert hat, wird diese nicht von heute auf morgen wieder abbauen und umziehen. Auch wer hochqualifiziertes, stark spezialisiertes Personal gewinnen konnte, will dieses nicht durch einen Umzug verlieren. Kontinuität spielt also eine große Rolle für den Mittelstand. Ein kluges Mietermanagement kann aus dieser Konstellation Vorteile für beide Seiten ziehen.
Mit freundlicher Empfehlung
Dr. Karim Rochdi